MACup 11/2000
Stephan Selle über intelligente Küchengeräte und Studenten im Web
Das Publizieren im Web gilt noch nichts in der deutschen Gelehrtenwelt:
Anständige Wissenschaftler werden gedruckt und nicht online gestellt
Vor geraumer Zeit haben wir an dieser Stelle Jini begrüßt, die Java-Variante für die Kommunikation von Haushalts- und
Consumer-Electronics-Geräten. Damals hatte auch Microsoft seinen Konkurrenten UPnP (Universal Plug & Play) angekündigt. Auf einer Fachmesse in den USA stellte Microsoft nun eine erste kleine
Anwendung vor: Die interessierte Hausfrau kann auf dem heimischen (oder einem anderen) Bildschirm verfolgen, wie sich Steak und Würstchen in einem elektronischen Grill dem Garzustand nähern. Vielleicht
bin ich ja altmodisch oder denke nicht amerikanisch genug, aber mein Grill hat ein Fenster und damit eine höhere Auflösung als jeder Fernseher. Und Echtzeit. Und die Farben stimmen auch ohne Profile:
Meine Würstchen sind bei den RGB-Werten 150/69/46 gar, ohne Kompromiss - okay, ein paar Stellen sind auch 80/37/32, obwohl die Freundin dann immer über das Krebsrisiko meckert.
Die Jini-Leute von
Sun hatten schon Anfang des Jahres auf der Consumer Electronics in Las Vegas ihren Beitrag zur Digitalisierung der Küche abgegeben: Der Kühlschrank hat einen Monitor, mit dem man nicht nur ihn
kontrollieren kann, sondern eine Menge anderer Geräte. Außerdem holt die moderne Hausfrau sich damit Rezepte aus dem Internet und verwandelt diese in Einkaufslisten, die sie dann auf ihr Handy überträgt.
Ist das cool? Eigentlich nicht. Dass der Hersteller meine Kaffeemaschinen-Software updaten kann, könnte mir helfen, wüsste ich nur, was die macht. Und der direkte kontrollierende Zugriff der
Kundendienst-Werkstatt auf meinen Geschirrspüler hilft auch nicht wirklich: Mein Gerät läuft seit sieben Jahren fehlerfrei. Aber vielleicht werfen die Amis ja auch Socken oder Hunde da rein.
Die
Dortmunder Sozialforschungsstelle will untersuchen, ob und wie Studenten das Internet nutzen. Leider erfährt man nicht, ob bestimmte Fachbereiche untersucht werden. Bei den Naturwissenschaftlern kann ich
dazu nichts sagen, aber für die Geisteswissenschaftler schon, denn ich jobbe nebenbei als Dozent an der Uni. Und da sieht es folgendermaßen aus: Einige Dozenten/Assistenten/Professoren stellen
Materialien und Literaturlisten im Netz zur Verfügung, die Studenten gucken sich das an. "Die Studie soll klären, ob es Informations- und Kompetenzdefizite im Umgang mit dem Internet bei der
Recherche für Fachliteratur gibt", sagen die Veranstalter. Leider liegt das Kompetenzproblem nicht beim Umgang mit dem Internet, sondern beim Umgang mit Bibliotheken und systematischem
Bibliographieren. Außerdem besteht ja beim Internet die Gefahr, dass man digitale Texte findet - die müsste man dann ja lesen. Aber Schluss mit den Gehässigkeiten: Wenn alle Lehrenden Materialien via WWW
anböten und wenn in jedem Seminarraum ein Mac mit Beamer stünde und dann die Studenten aufgefordert würden, ihre Thesenpapiere und Referate online zu stellen, ja dann würde die Nutzung einen Riesensprung
machen.
Leider gilt das Publizieren im Web noch nichts in der deutschen Gelehrtenrepublik: Anständige Wissenschaftler werden gedruckt, nicht online gestellt. Solange diese Attitüde vorhält, habe
ich immer den Medienbruch. Ich finde zwar den Hinweis auf einen Text, aber kaum den Text selbst. Und Datenbanken mit echten Online-Dokumenten dürfen häufig nur vom Lehrkörper genutzt werden. Streng
genommen ist eine digitale Bibliotheksrecherche auch nicht mehr zeitgemäß: Zuerst will ich doch wissen, welche Publikationen es zu meinem Thema gibt, erst dann interessiert mich, wo sie stehen, oder ob
sie meine nächstgelegene Bibliothek hat. Aber das erfahre ich ja nicht, denn ob ein Buch vorrätig oder ausgeliehen ist, wird nicht gezeigt. Und reservieren kann ich schon gar nicht. Vielleicht bin ich
aber auch nur zu ungeduldig.
Apropos Olympia: Zwar teile ich mit vielen Altersgenossen die Abneigung gegen sportliche Betätigung jeder Art, aber der Sydney-Rummel fordert Tribut. Meine
Lieblingsmeldung ist mehr als hundert Jahre alt. 1896, bei den ersten Spielen in Athen, kämpfte der deutsche Ringer Carl Schuhmann, genannt der "Kleine Apoll" (157 Zentimeter groß, 140 Kilo
schwer, also fast quadratisch) gegen den Griechen Georgios Tsitas. Nach mehreren Stunden (!) wurde der Kampf abends abgebrochen und erst am nächsten Tag fortgesetzt. Schuhmann gewann.
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