|
MACup 12/2000
Stephan Selle über Bibliophiles und Branchengesetze
Apple ist eigentlich Teil der Unterhaltungsindustrie und führt seit 20 Jahren Dramen auf, die Investoren
röchelnd an der Bühne zusammenbrechen lassen
Im Jahre 1866 macht sich eine Reisegruppe junger amerikanischer Damen zu einem seltsamen Marsch von New York nach San Francisco und Seattle auf: Das Land ist
schon lange vergeben, diesmal gilt die Expedition dem im Osten rar gewordenen Ehemann. Mercer's Belles hießen die Häscherinnen, nach Asa Mercer, die den brillanten Einfall hatte. Zu viele heiratsfähige Ostmänner
hatte der Bürgerkrieg dahingerafft, und ohne die Möglichkeiten des Online-Flirts blieb den unfreiwilligen Fräuleins nur die Hoffnung auf den direkten Zugriff. Roger Conant begleitete die verzweifelten Singles und
schrieb darüber ein Buch, das jetzt in den Vereinigten Staaten als eBook von Microsoft zu haben ist. Und nicht nur dies: Es sind derer bereits hunderte, die über Barnes & Noble im Online-Angebot stehen;
Erzählungen von F. Scott Fitzgerald genauso wie Romane und Computerbücher, Biografien und Reisebücher. Wenn Bill Gates einen Markt will, kleckert er nicht. Auf der Buchmesse wurden die ersten Preise für eBooks
verliehen, immerhin 100 000 Dollar, womit Microsoft einen der höchstdotierten Literaturpreise geschaffen hat. Ein mir bislang unbekannter E. M. Schorb hat ihn in diesem Jahr für seinen Roman "Paradies
Square" bekommen, daneben gab es kleinere Preise in solch interessanten Kategorien wie "Converted Fiction", Romane also, die ihr erstes Leben in Tinte auf Papier führten.
Eine nette
Alternative zum ungedruckten Buch stellt das gedruckte Einzelstück da, das Book on Demand (BoD) - das Buch also, das für jeden Besteller einzeln gedruckt wird und dennoch bezahlbar bleibt. Digitale Druck- und
Verarbeitungsmaschinen machen's möglich. Für welche Bücher das Sinn macht? Auf einer englischen Site kann ich mir zum Beispiel einen individualisierten Reiseführer zusammenstellen und drucken lassen: Spanien ohne
Architektur, dafür mit Essen und den ersten beiden Kapiteln aus "Don Quixote", Karten nur für die Hauptstadt. Wie immer sollte man bei solchen Neuerungen nicht gleich an Goethe denken, Sachbücher tun's
auch. Was bei Reisen funktioniert, geht auch bei Kochbüchern, Kamasutras und Kinderliedern: das Machbare aussuchen und drucken lassen. In Deutschland sind schon Buchhandelsketten ausgeguckt, die mit entsprechenden
Terminals Auswahl und Bestellung auch für die Lesefreunde möglich machen, die aus Prinzip oder Schusseligkeit noch nicht online sind.
Eine Neuerscheinung, die leider nicht in bibliophiler Einzelauflage
gedruckt wird, ärgert derzeit auch Apple-Chef Steve Jobs: In den USA erscheint in diesen Tagen eine Biografie des späten Jobs ("The Second Coming of Steve Jobs"), die der Apple-Retter dem Verlag gegenüber
als öffentliche Hinrichtung bezeichnete. Zu allem Überfluss laufen die Geschäfte bei Apple im Augenblick auch nicht so richtig. Jobs, erst als Retter gefeiert, muss nun nicht nur zusehen, wie seine Firma innerhalb
von Tagen die Hälfte ihres Wertes verliert, er muss auch fast die gesamte Last der Verantwortung tragen. Das Plumpsen der Kurse ist ja derzeit ein vertrautes Geräusch, und die Fallhöhe teilt Apple mit einigen
anderen, zumal deutschen Gesellschaften.
Aber wie immer bei Apple reden wir kaum über Absatzprobleme oder Preise: Das Problem ist bei dieser Firma immer der Chef. Jobs verkauft Macs nur an die geduldige
Stammkundschaft, verpennt den Server- und PDA-Markt, hat keine Strategie im Bereich Dienstleistungen und ist außerdem noch - gemäß Buch - ein sehr unangenehmer Mensch. Mal abgesehen davon, dass die Kursverluste, die
einige der Großen der Branche einzustecken haben, in keinem Verhältnis zu den ausgegebenen Gewinnwarnungen stehen (man denke nur an die armen Intels! - aber Fondsmanager sind gnadenlos, wenn es um die
Gesamtperformance geht), bleiben Apple-Krisen so, wie sie immer waren: Wir reden nicht von Verlusten, wir reden vom Untergang; wir reden nicht von technischen Umgebungen, sondern von persönlichem Versagen. Apple ist
eigentlich Teil der Unterhaltungsindustrie und führt seit fast 20 Jahren Dramen auf, die Investoren röchelnd an der Bühne zusammenbrechen lassen und aus den eigenen Anhängern Liebhaber im Wechselbad der Gefühle
macht. Einen Mac oder Apple-Aktien zu haben, ist nichts für Laumeier. If you can't stand the heat, stay out of the kitchen.
|
|