Gnosis ... ist im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien aus zwei Gründen interessant, gewissermaßen als Opfer und Täter: Die Gnostiker waren das Opfer einer
großangelegten Verschwörung, die unter Konstantin mit der Festschreibung des orthodoxen Katholizismus als Staatsreligion begann und sich bis zum Ende des Mittelalters fortsetzte. Die Gnostiker waren aber
gleichzeitig das Modell für die Geheimgesellschaften des achtzehnten Jahrhunderts, sie verkörpern eine Weltsicht, in denen Gott abwesend, die Welt böse und die Menschen erkennend und handelnd, nicht
glaubend und leidend - weil bereits erlöst - sind.
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Wir verstehen im folgenden unter „Gnosis“ solche
Bewegungen, die ihr besonderes Interesse an der vernünftigen Erfassung von Sachverhalten durch Einsicht („Erkenntnis“) in theologischen Systemen niederlegen, die in der Regel durch ein
bestimmtes Ensemble von Ideen oder Motiven in den Texten gekennzeichnet sind:
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Die Erfahrung eines vollkommenen jenseitigen, fernen obersten Gottes;
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die unter anderem dadurch bedingte Einführung weiterer göttlicher Figuren oder Aufspaltung der vorhandenen
Figuren in solche, die dem Menschen näher sind als der ferne oberste Gott;
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die Einschätzung von Welt und Materie als böser Schöpfung und eine dadurch bedingte Erfahrung der Fremdheit des Gnostikers in der Welt;
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die Einführung eines eigenen Schöpfergottes oder Assistenten; er wird mit der platonischen Tradition „Handwerker“ – griechisch: „
Demiurgós
“ – genannt und zum
Teil nur als unwissend, zum Teil aber auch als böse geschildert;
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die Erklärung dieses Zustandes durch ein mythologisches Drama, in dem ein göttliches Element, das aus seiner
Sphäre in eine böse Welt fällt, als göttlicher Funkte in Menschen einer Klasse schlummert und daraus befreit werden kann.
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eine Erkenntnis („Gnosis“) über diesen Zustand, die aber nur durch eine jenseitige Erlösergestalt zu gewinnen ist, die
aus einer oberen Sphäre hinab- und wieder hinaufsteigt;
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die Erlösung durch die Erkenntnis des Menschen, „dass Gott (bzw. der Funke) in ihm ist“ (TextVer NHC IX,3. p. 56,15-20), sowie schließlich
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eine unterschiedlich ausgeprägte Tendenz zum Dualismus, die sich im Gottesbegriff, in der Entgegensetzung von Geist
und Materie und in der Anthropologie äußern kann.
(Christoph Markschies, Die Gnosis, München 2001, S. 25f)
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“Die frühen Geheimbünde, die Weishaupt inspirierten, gehörten zu den ersten
Manifestationen organisierter menschlicher Erleuchtungssuche. Die jüdischen Kabbalen, die christlichen Gnostiker und die islamischen Sufisten folgten ebenso wie eine ganze Reihe von Kulten und
Geheimbünden, wie die gefürchteten Hashishimer (Killer), die glücklosen Tempelritter undkleinere okkulte Gruppen, die sich (wie in Spanien und Frankreich) sogar Illuminati nannten.”
(Vankin, Jonathan & Whalen, John: Die 50 größten Verschwörungen aller Zeiten, Königswinter 1998, S. 228
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Als Quellen gelten – ebenfalls nach Markschies – drei Kategorien von Texten:
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die „Gnosis“-kritischen antiken Autoren, die Originaltexte überliefern (Irenäus von Lyon, Clemens von Alexandrien, Hippolyt von Rom,
Origines und Epiphanius von Salamis)
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die „Gnosis“-kritischen Autoren, die „Ketzerreferate“ bieten (Häresiologen) (Justin, Tertullian und andere)
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„Gnostische“ Originaltexte, vor allem in koptischer Sprache (vor allem die Bibliothek von Nag Hammadi, die Bibliothek von Medinet Madi sowie
der Kölner Mani-Codex)
Gehen wir also daran, die acht Punkte aus Markschies Typologie zu füllen.
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